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Sondernewsletter Mobilität I - 30. April
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+ Ergebnisse des "Event on the future of the European automotive landscape" + Statements von Politik und Unternehmen +
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Die Zukunft der europäischen Automobilindustrie
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Liebe Leserin, lieber Leser,
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Im Mittelpunkt dieses Sondernewsletters steht die Veranstaltung des GWD mit dem Institut Montaigne zur Zukunft der Automobilbranche in Europa. Diese ist dabei, sich im Bekenntnis zu den Paris-Zielen und in Hinblick auf den Green Deal der EU grundlegend umzubauen und fit für die Zukunft zu machen. Die Zukunft heißt „CASE“: Connectivity, Autonomy, Shared und Electric – der individuelle wie der öffentliche Verkehr werden sich umfassend neu formieren. Das betrifft die gesamte Automobilbranche: von der Chipproduktion über die Ladesäuleninfrastruktur, die Entwicklung einer europäischen Batteriezelle bis hin zur Änderungen in der Wertschöpfungskette. Die Aufgabe der Autobranche, von Herstellern sowie Zulieferern, wird es sein, die stattfindende Revolution und Disruption beim Produkt und in der Produktionsweise aktiv und verantwortlich zu gestalten, die strukturpolitischen und sozialen Risiken proaktiv aufzugreifen und im Dialog die besten Antworten zu finden.
Der Zeitpunkt für die Veranstaltung hätte nicht besser sein können. Ein weiterer Schritt zum Green Deal in Europa und Bidens Klimagipfel prägten die Nachrichten der Woche: Das Klimaziel für 2030 wurde im Parlament festgezurrt und damit ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer klimaneutralen EU 2050 getan. Der Umbau der Volkswirtschaften in Richtung erneuerbare Energien und zur Minderung der Emission von Treibhausgasen hat damit einen Rahmen erhalten. Dieser wird von der EU-Kommission im Juni durch das Regelungspaket „Fit For 55“ weiter konkretisiert: Nötig sind Regelungen, welche die europäische Souveränität, Ressourcensicherheit und Sicherheit der Lieferketten stärken.
Für die deutsche Wirtschaft ist dabei ein verlässliches europäisches Level Playing Field zentral. Ein abgestimmtes europäisches Vorgehen gilt nicht nur für die Realisierung von Chancen im größten Binnenmarkt der Welt, sondern umso mehr mit Blick auf die Märkte in den USA und China.
Die Automobilindustrie ist in Bewegung und will die Chancen nutzen. Wie Cem Özdemir es sinngemäß auf dem Event ausdrückte: "Den Mut und die unternehmerische Weitsicht, die vor mehr als 130 Jahren zur Erfindung des Autos geführt haben, werden heute wieder gebraucht, um an die Spitze der heutigen Entwicklungen zurückzukehren." Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre dieses Sondernewsletters!
Ihre Gabriele C. Klug
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Ergebnisse des Austauschs und Statements von Politik und Unternehmen zu aktuellen Herausforderungen und Chancen
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Die gemeinsam mit dem Institut Montaigne (F) geplante und durchgeführte Veranstaltung widmete sich zwei zentralen Themen der Automobilindustrie: einerseits der Konsolidierung des Sektors in der Folge der Transformation, andererseits den strukturellen und sozialen Auswirkungen dieser Konsolidierung. Hierzu hatten der Grüne Wirtschaftsdialog und das Institut Montaigne Vertreter:innen aus Politik, Industrie, und Arbeitnehmerschaft eingeladen. Ziel der Veranstaltung war, in zwei Podien aus verschiedenen Perspektiven auf die Herausforderungen und Chancen der Transformation und die Folgewirkungen für Unternehmen und Gesellschaft einzugehen. Als besonderen Gast begrüßten wir Carlos Tavares, CEO von Stellantis zu einer Keynote. Die Journalistin und Fernsehmoderatorin Judith Bogner führte durch die Veranstaltung.
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Keynote Carlos Tavares
In seinem 25-minütigen Vortrag – "Freedom of mobility at stake: clean, safe and affordable solutions” entwickelte der Chef des viertgrößten Autobauers der Welt die zentrale Fragestellung: Welchen Wert wollen die Europäer der freien, spontanen und individuellen Mobilität in Zukunft beimessen?
Wie auch immer der gesellschaftliche Konsens ausfiele: die Aufgabe der Automobilunternehmen sei, ihren Teil dieser Frage mit passenden Produkten und Dienstleistungen zu beantworten. Diese müssten drei Eigenschaften mit sich bringen: Sicherheit, Bezahlbarkeit und Nachhaltigkeit. Aber auch die Politik muss sich dazu bekennen und ihrerseits dazu beitragen, dass solche zukunftsweisenden und klimafreundlichen Mobilitätsformen wie E-Autos auch weiterhin in Europa produziert und verkauft werden können. Die Unternehmen der Branche arbeiteten mit voller Kraft an diesen Lösungen. Sie sind dabei angewiesen auf stabile und zukunftsweisende Regulatorik sowie funktionierende Ökosysteme von Zulieferern.
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Panel 1: Die Konsolidierung des Automobilsektors in Europa Die Treiber der Konsolidierung im Automobilbereich sind vielfältig, hier besteht zwischen den verschiedenen Teilnehmer:innen aus den Unternehmen, den Mobilitätsplanern und der grünen Politik eine große Übereinstimmung: Seit mehreren Jahren treffen die Ziele einer klimaneutralen Produktion, und der Transformation hin zu CASE-Produkten auf eine globale Überproduktion. Dieses Problem wird verschärft durch den Nachfrageeinbruch in der Pandemie – und die Disruption im Bereich Antriebe und Konnektivität. Diese verlangen immense Investitionen in Zukunftstechnologien und den vorübergehenden Erhalt von Doppelstrukturen zur Produktion von Fahrzeugen mit verschiedenen Antriebstypen. Als Resultat entsteht ein starker Druck zur Konsolidierung und zur Kooperation zwischen den Autobauern und Zulieferern. Die Wertschöpfung ändert sich grundlegend.
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Foto: Sedat Mehder (CC BY 3.0)
"Regarding our fight against the climate crisis this week has seen two remarkable decisions. Yesterday, US President Biden invited world leaders to discuss global climate protection. The US is back in the lead against the climate crisis! On early Wednesday morning in the trilogue talks the European Union agreed on a new climate law. Although we Greens did engage for even more ambitious goals - I still am very optimistic. First, because: With the US being back on stage in climate issues, there is a strong likelihood that there will be a transatlantic competition - a race to the top - in climate technologies! And we will need a lot of technological innovations - since we must be an example for other world regions that wealth can be achieved without burning oil, gas and coal. Second, I am firmly convinced that if we fully engage in climate technologies - climate protection can be a driver for innovation and wealth. Climate protection is one of the key growth areas for our economy. If you want to be successful on the market tomorrow, you have to get serious about climate protection today. I am an optimist who believes in the opportunities of transforming one of Europe's most important industries: The automotive sector."
Cem Özdemir, MdB Vorsitzender des Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
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"Unser Ziel ist, mit möglichst vielen Beschäftigten durch diese Transformation zu kommen und uns in den Bereichen Elektromobilität, Software und Künstlicher Intelligenz fit für die Zukunft zu machen. Wir brauchen Zeit, um den Wandel vom Verbrenner hin zur Elektromobilität vernünftig gestalten zu können. Der Anpassungsbedarf ist enorm. Auch wenn wir stark in die Elektromobilität einschließlich der Brennstoffzelle investieren, dürfen wir uns beim Beschäftigungsverhältnis nichts vormachen: Dieses ist bei Bosch 10:3:1 von Diesel zu Benziner zu Elektro."
Filiz Albrecht Geschäftsführerin Robert Bosch GmbH
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"The transformation in our sector is in full swing.The future is electric. Let us use the breadth of technologies, from autonomous shuttles to affordable BEVs and improved plug-in hybrids, to make the Green Deal a success for both climate and industry. If we follow such an approach, the transformation can be a lever for long-term competitiveness."
Dr. Holger Klein Mitglied des Vorstands ZF Friedrichshafen AG
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Trotz dieser Herausforderungen sieht sich die europäische Automobilindustrie in einer guten Ausgangslage, sich angesichts dieser Entwicklung erfolgreich global zu behaupten. Dabei scheint die Präferenz zumindest im PKW-Sektor vorerst entschieden zu sein: Batteriebetriebene Elektromotoren werden voraussichtlich das Rennen um den Antrieb der Zukunft machen – mit allen Konsequenzen für die dringlich zu schaffenden Rahmenbedingungen für Konnektivität und Ladeinfrastruktur bis hin zu europäischen Batteriezelle.
Um den Beitrag der europäischen Automobilindustrie für den Wohlstand zu erhalten, müssen die Automobilunternehmen weiterhin relevante Beiträge zur Wertschöpfung leisten und die Risiken für die Arbeitnehmer müssen durch Unternehmen und Politik mit der Arbeitnehmerseite gelöst werden. Es bestand Einigkeit im Podium: Die Entwicklung geht hin zu Software- und Batteriefertigung, denn dort liegen künftig die wesentlichen Teile der Wertschöpfung. Diese Erkenntnis allerdings bleibt nicht ohne Auswirkung auf die Arbeitsteilung zwischen OEMs und Zulieferer. Die Entwicklung ist nicht abschließend geklärt, doch ist sie eine Kernfrage für die Zukunft der Arbeitsplätze und das Gesicht der Branche in Europa. Zudem eine Frage von höchster politischer Relevanz. Der Green Deal der EU stellt vor diesem Hintergrund eine große Chance dar, um ein neues Kapitel in der industriellen Erfolgsgeschichte der Automobilindustrie zu schreiben. Europa im Wettbewerb mit der wachsenden außereuropäischen Konkurrenz braucht mehr Investitionen in eine nachhaltige, digitale Fertigung. Das ist mit Effizienzsteigerungen und langfristigen Wettbewerbsvorteilen verbunden, die in ihrer Kombination zu einer neuen Marktstellung europäischer Produkte führen und im Bereich der individuellen Mobilität die geänderten Erwartungen des Marktes nach digitaler, ökologischer nachhaltiger und bezahlbarer Mobilität zu bedienen.
Im Ergebnis zeigte die Diskussion: Der Wettbewerb ist durch die Konsolidierung nicht gefährdet. Im Gegenteil, der Eintritt von Automobil-Startups oder Technologieunternehmen aus Asien und Nordamerika wird als Ansporn gesehen, den Wettbewerb und damit die Innovationskraft auf dem Markt noch lange zu erhalten.
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Foto: Volkswagen AG
"To establish European battery cell manufacturers is a crucial task for European sovereignty. Not Asian suppliers with a production located in Europe, but European champions. In order to achieve this, it is essential that we revise the EU´s state aid legislation for investments in production facilities for decarbonization technologies and in the transformation of industry locations – in Western and Southern Europe as well."
Dr. Thomas Steg Generalbevollmächtigter Volkswagen AG
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Foto: Stella Traub
"We are not against the combustion engine. We are against the use of fossil fuels in combustions engines in cars. Hydrogen and synthetic fuels do have use cases. For example in airplanes or larger vehicles such as trucks or heavy machinery. In the end the markets, the customer will make the decisions about use cases. It seems that in the car market the decision is already in the making."
Dieter Janecek, MdB Sprecher für Industriepolitik und digitale Wirtschaft Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
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Panel 2: Soziale und strukturelle Implikationen der Transformation Das zweite Podium ging auf Themen der sozialen und strukturellen Transformation im Sinne der Konsolidierung ein. Unter den Teilnehmenden waren Vertreter:innen der Politik unterschiedlichster Ebenen. So vertrat Franziska Brantner (MdB) die Perspektive der Bundesebene und brachte gleichzeitig ihre Erfahrung als Abgeordnete des Europaparlaments ein. Katrin Habenschaden (zweite Bürgermeisterin, München) und Elly Schlein (Vizepräsidentin der Region Emilia-Romagna, Italien) blickten aus regionalpolitischer Perspektive auf die Fragestellung. Gerade in den differenzierten Perspektiven der Politikerinnen, trat der essenzielle Wert des Green Deals hervor. Insbesondere für die derzeit strukturstarken Regionen Südeuropas wie Emilia Romagna eröffnet der Green Deal die Chance, die industrielle Wertschöpfung und gute Arbeitsplätze in die Zukunft zu tragen.
Die wirtschaftliche Perspektive, vertreten von Laurent Favre (Plastik Omnium) und Filiz Albrecht (Bosch) stellte heraus, dass die Wertschöpfungsketten neu gedacht werden müssen. Für die großen OEMs bedeutet dies, die Wertschöpfungsketten zu erweitern, während die Zuliefererindustrie eine neue Rolle in den Wertschöpfungsketten finden muss, da einige der bisher benötigen Teile in Verbrennungsmotoren zukünftig keine Verwendung mehr finden werden. Entscheidend wird sein, dass der Green Deal und andere Strukturpolitische Maßnahmen auch für die Zulieferer und ihre zahlreichen Standorte als Chance wahrgenommen werden, wenn Innovationen, Investitionen und Umschulungen gefördert werden. Die Veränderung, welche die Öffentlichkeit erst mit den Jahren erreichen wird, beginnt in der Industrie jetzt.
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Foto: Florian Freundt
"The European Green Deal must lead the way towards a more sustainable, digital and innovative European mobility landscape! The EU should offer companies and employees clear guidelines for a reliable and socially just transformation."
Dr. Franziska Brantner Parlamentarische Geschäftsführerin und Sprecherin für Europapolitik Bundestagsfraktion B90/Die Grünen
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"Jobsicherheit in der Transformation ist keine technische Frage, sondern eine politische. Natürlich verändern Elektrifizierung und Digitalisierung die Arbeit in den Betrieben radikal. Es braucht mehr verantwortliche Unternehmensstrategien und eine aktive Industriepolitik in Europa und den Regionen. An den bestehenden Standorten brauchen wir anstelle von Abwicklung und Arbeitsplatzabbau verbindliche Zusagen für neue Produkte und die entsprechenden Investitionen, damit tariflich gesicherte Arbeit eine Perspektive hat. Die Transformation braucht soziale und ökologische Leitplanken."
Kai Burmeister 1. Bevollmächtigter IG Metall Aalen
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"Das Zeitalter des Automobils mit Verbrennermotor neigt sich dem Ende zu. Die Automobilindustrie als deutsche Leitindustrie steht damit vor einer historischen Zäsur. Sie muss das Auto neu erfinden, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu sein. Derzeit schicken sich junge, dynamische Unternehmen an, den Automarkt zu erobern. Aktuell sind sie im Bereich der Digitalisierung und beim vernetzten Fahren im Vorteil. Es freut mich zu sehen, dass die deutschen Autobauer nun mit großem Engagement dabei sind, diese Lücke zu schließen. Ich sehe es aber gleichermaßen als Aufgabe der Politik, die ökologisch-digitale Transformation der deutschen Automobilindustrie beispielsweise durch kluge Infrastrukturmaßnahmen zu unterstützen."
Katrin Habenschaden 2. Bürgermeisterin München Bündnis 90/Die Grünen
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AusblickDie Veranstaltung hat gezeigt, dass im weltweiten Kontext von Klimawandel, technischen Entwicklungen und vor allem neuer globaler Konkurrenz nur eine gemeinsame europäische Perspektive sinnvoll erscheint. Schwerpunkte, die sich in den Panels herausgebildet haben, wollen wir daher auch in kommenden Veranstaltungen in einem europäischen Kreis weiterverfolgen und vertiefen. Weitere Informationen zu unseren Projekten erhalten Sie in unseren kommenden Newslettern und auf unserer Homepage.
Das Thema "Zukunft der Mobilität" verfolgt der GWD aus mehreren Perspektiven. In Kürze werden wir Ihnen an selber Stelle die Ergebnisse unserer Ad-hoc Foren "E-Fuels" und "ÖPNV während & nach Corona" vorstellen.
Wenn Sie Interesse haben, am künftigen Austausch in diesem Bereich teilzunehmen, kontaktieren Sie uns unter info@g-wd.de.
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V.i.S.d.P.: Dr. Thomas Gambke, Gabriele C. Klug Redaktion: Anna Cebotareva, Hagen Pietzcker
Herausgeber: Grüner Wirtschaftsdialog e.V. Dorotheenstr. 3 10117 Berlin +493028683434 info@g-wd.de www.gruener-wirtschaftsdialog.de0
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