Erstes Hauptstadtgespräch des GWD

Gespräch zum Thema Wettbewerbspolitik: Katharina Dröge, wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag und Prof. Dr. Justus Haucap, Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie (DICE) und ehemaliger Vorsitzender der Monopolkommission traten in einen Dialog mit geladenen Wirtschaftsvertreter:innen.

Am 03.02.2020 in Berlin

 

Die Anforderungen der Digitalisierung an moderne Wettbewerbspolitik

Die Verbreitung von digitalen Geschäftsmodellen führt zu tiefgreifenden Veränderungen in der Wirtschaft. Die Macht von Plattformbetreibern sowie die Bedeutung von Daten und künstlicher Intelligenz (KI) bewirken Umbruch und Verschiebung von Machtverhältnisse in allen Branchen.

Kernaspekt der Diskussion über Wettbewerbspolitik: Die gesteigerte Verantwortung für Politik und Verwaltung, vorausschauende Regulatorik zu verabschieden. Unternehmen wollen in einem sich ständig ändernden Marktumfeld Sicherheit für ihre Investitionen. So können Potenziale digitaler Geschäftsmodelle entfaltet werden, die wichtig für deutsche und europäische Wettbewerbsfähigkeit sind.

Die Diskussion beleuchtete fünf Dimensionen moderner Wettbewerbspolitik:

1. Effiziente Vorgehensweise bei Wettbewerbsfragen

Unternehmen stehen heute bei aufkommenden Wettbewerbs- und Datenschutzfragen vor einem Dilemma. Entweder sie warten, bis spezifische Regulatorik verabschiedet wird, die zukünftige Fragestellungen ‚ex-ante‘ regelt. Dabei sind Politik und Verwaltung jedoch oftmals in langen und schwerfälligen Prozessen der Kompromissfindung verhangen, die eine schnelle Verabschiedung von Regulatorik verhindern. Oder sie ergreifen die Initiative, bevor die Rahmenbedingungen klar sind. Dann tun sie dies mit dem Risiko, ‚ex-post‘ gegen später definierte Grenzen zu verstoßen – was zu langwierigen und kostspieligen Gerichtsprozessen führen kann.

Beides hemmt notwendige Veränderungsprozesse in der Industrie mit dem Ergebnis, international im Wettbewerb zurück zu fallen und Geschäftsmöglichkeiten nicht nutzen zu können.

Die Regierung muss sich endlich dieser Herausforderung stellen, durch ordnungspolitische Rahmenbedingungen den Unternehmen Orientierung für veränderte Geschäftsprozesse zu geben. Stattdessen übertüncht sie dieses mit immer neuen Förderungen und Subventionen, die aber nicht notwendigerweise zu funktionierenden Geschäftsmodellen führen.

2. Ebenen der Wettbewerbspolitik

Bei welchen Sachverhalten macht eine nationale Gesetzgebung Sinn und wo muss der europäische Ansatz gewählt werden? Das Beispiel Landwirtschaft und Lebensmittel zeigt: Bei regionalen Zusammenschlüssen von Lebensmittelhändlern ist die kartellrechtliche Kontrolle richtigerweise national aufgehoben; jedoch ist eine grundsätzliche Lenkung der Landwirtschaft am effektivsten über EU-Fördermittel und Gesetzgebung.

3. Vielschichtigkeit von Märkten und Wettbewerben

Jeder Markt hat seine eigene Logik bezüglich passender Wettbewerbspolitik. Die folgenden Beispiele verdeutlichen, dass es keine allgemeingültige Herangehensweise geben kann.

Digitale Plattformen: Es gibt Verwendungen von Daten in unterschiedlichen Anwendungsfällen. Hierzu gehören Interoperabilität, Live-Übertragung oder Portabilität. Nur wenn verschiedene Plattformen – unabhängig von ihrer Größe – auf einem ‚level playing field‘ konkurrieren können, entsteht ein echter Mehrwert für den Kunden. Dazu muss die Marktmacht bestimmter Player effizient und legislativ passgenau kontrolliert werden können.

Landwirtschaft: Auf der einen Seite gibt es strukturelle Ungleichgewichte zwischen Landwirten und Einzelhandel, die immer wieder zu problematischen Handelspraktiken zum Nachteil der Landwirte geführt haben. Auf der anderen Seite gibt es jedoch nicht nur die Lieferbeziehung zwischen einzelnen Landwirten und großen Einzelhandelsketten. Landwirte haben oft eine Vielzahl von Lieferbeziehungen, unter anderem zur weiterverarbeitenden Industrie oder großen Lebensmittelkonzernen wie Nestlé und PepsiCo.

Bankensektor: Banken müssen die Daten ihrer Kunden verpflichtend kostenfrei und speziell aufbereitet an Drittnutzer weitergeben, insofern der Kunde dazu auffordert. Diese vermeintliche Demokratisierung von Daten läuft aber in Gefahr, nur bestimmten Konzernen in die Hände zu spielen, die Kapazitäten zur Weiterverarbeitung haben. Die zusätzlichen Kosten fallen bei den Banken an, die sich bereits einem intensiven Wettbewerb ausgesetzt sehen.

4. Die zwei Seiten der Wettbewerbsförderung

Bei der Förderung von Wettbewerb gibt es zwei Seiten: Zum einen den Schutz des Wettbewerbs dort, wo er bereits existiert. Hier spielt das Kartellrecht eine große Rolle. Zum anderen aber auch die Wettbewerbsschaffung dort, wo noch keiner herrscht. Das sind zum Beispiel Teilbereiche des Gesundheitsmarktes, in denen eine Diskussion über die weitere Liberalisierung der Diskussion über Kartellrecht vorangehen würde.

5. Datennutzung für die Daseinsvorsorge

Ein weiteres bedeutendes Thema ist die Nutzung von neuen Technologien und Daten zur Daseinsvorsorge. Es ist offensichtlich, dass eine Nutzung von Big Data große Potenziale birgt für die bessere Planung von Infrastruktur, Verkehr oder Gesundheit. Genauso klar ist jedoch, dass die verantwortungsvolle Nutzung die Erfüllung wichtiger Prämissen voraussetzt: Wie kann Anonymisierung gewährleistet werden? Wer zahlt für Datenaufbereitung? Welche Daten dürfen für profitorientierte Geschäftsmodelle verwendet werden? Inwieweit können Bürger*innen mündig über ihre Daten verfügen?

Diese und weitere Fragen müssen von der Politik klar beantwortet werden, damit Deutschland und Europa eine Chance haben, sich in der digitalen Weltwirtschaft erfolgreich zu positionieren – zwischen einem Amerika des Turbokapitalismus und der „Winner-Takes-it-All“-Mentalität und einem China mit zensurfreudigem Staatskapitalismus ohne Rücksicht auf Datenschutz oder Privatsphäre.