Nachdem im November vergangenen Jahres über die Bandbreite an Herausforderungen und Lösungsansätze bei der industriellen Dekarbonisierung gesprochen wurde, vertieften die Mitglieder des Fachforums beim virtuellen Treffen im April die Diskussion konkreter Instrumentezur Schaffung eines CO2-Leitmarktes und zur Vermeidung von Carbon Leakage. Dabei waren auch MdBs Ingrid Nestle, energiepolitische Sprecherin, und Dieter Janecek, Sprecher für Industriepolitik und Digitalisierung der Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen, sowie Prof. Karsten Neuhoff vom DIW.

Am 02.04.2020, Videokonferenz

 

Ergebnisse und weiteres Vorgehen

Im Fokus des Fachforums standen sowohl kurzfristig umsetzbare Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise, als auch langfristige Instrumente zur klimaneutralen Transformation der Grundstoffindustrie. Es wurde intensiv über die Vorteile und Probleme von Grenzausgleichsregimen (Border Carbon Adjustments) zur Vermeidung von Carbon Leakage diskutiert. Als Alternative zu BCAs präsentierte Prof. Neuhoff vom DIW Berlin ein alternatives Modell, das unterschiedliche Politikmaßnahmen zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2050 kombiniert. Die Eckpunkte von Prof. Neuhoff’s Input:

Ausgangspunkt

  • Die Grundstoffindustrie ist für 25% der globalen CO2-Emissionen verantwortlich, Klimaneutralität kann nur mit ihrer Hilfe erreicht werden
  • Neue Technologien für emissionsarme Produktionsprozesse werden allein nicht ausreichen, da der Stromverbrauch zu hoch ist, es braucht eine Kombination verschiedener Vermeidungsansätze, u.a. eine Verminderung der konventionellen Nachfrage durch Werkstoffreduktion bei höherwertigen Materialien, Substitutionen durch alternative Grundstoffe und bessere Instandhaltung und Wiederverwendbarkeit

Wirkung und Grenzen der CO2-Bepreisung

  • Entscheidend ist eine Internalisierung der Emissionskosten durch den CO2-Preis über die gesamte Wertschöpfungskette
  • Der dafür notwendige CO2-Preis wäre so hoch, dass es zu Carbon Leakage käme, um dies zu vermeiden müssten Grenzausgleichsregime (BCA) eingeführt werden, über die außenwirtschaftlichen Nachteile kompensiert und internationale Wettbewerbsfähigkeit gewahrt wird

Grenzen der bestehenden BCA-Modelle

  • Bisherige BCA-Modelle garantieren entweder keine vollständige Kosteninternalisierung und ausreichenden Schutz vor Carbon Leakage oder würden hohen bürokratischen Aufwand und schwierige internationale Verhandlungen voraussetzen

Alternative Klimabeitrag

  • Der Klimabeitrag ist eine, auf den Endpreis des Produktes zu veranschlagende, Abgabe, die als Steuer erhoben wird, und deshalb auch national umgesetzt werden kann (anders als Zölle, die der exklusiven EU-Kompetenz unterliegen).
  • Sie soll kombiniert werden mit einer dynamischen Allokation von Emissions-zertifikaten über den europäischen Emissionshandel (EU ETS), flankiert von zusätzlichen Maßnahmen zur Schaffung eines Leitmarktes
  • Klimabeitrag auf Basis des CO2-Gehalts von Materialien, der an den Endverbraucher weitergeben wird, Einnahmen könnten als Pro-Kopf-Erstattung wieder zurückgegeben werden, damit kann auch eine soziale Komponente mit dem Klimabeitrag verbunden werden
  • Carbon Contracts for Difference (CCfDs) würden das regulatorische Risiko in der Entwicklung klimafreundlicher Projekte verringern und den Emissionspreis stabilisieren, Planungssicherheit würde geschaffen
  • Grüne öffentliche Ausschreibungen würden Nachfrage sichern und lokale Leitmärkte schaffen
  • Product Carbon Requirements zur Stärkung des Preissignals durch langfristige Nutzungsverbote emissionsintensiver Grundstoffe, beschleunigen den Ausstieg aus konventionellen Produktionstechnologien

Diskussion

Das Modell ‚Klimabeitrag‘ diente als Diskussionsgrundlage im Fachforum. Eine Ergänzung des EU ETS um einen Klimabeitrag wurde dabei als praktikable Alternative zu BCAs dargestellt und in Hinblick auch auf internationale Durchsetzbarkeit positiv bewertet. Vor allem angesichts der anstehenden Investitionszyklen und der notwendigen Planungs-sicherheit auf längere Zeiträume (mindestens 20 Jahre) in der Grundstoffindustrie werde die Zeit für grundsätzliche Theoriefragen in Hinblick auf die Klimaschutzziele 2050 immer knapper. Es müssen daher zeitnah kurz- bis mittelfristig umsetzbare Ansätze, wie etwa der Klimabeitrag, gefunden werden. Fraglich ist weiterhin auf welcher Ebene solche Maßnahmen umgesetzt werden sollten. Anders als BCAs könnten steuerliche Klimabeiträge auch national eingeführt werden. Angesichts des engen Mandats der EU-Kommission, warten viele Regierungen darauf, dass alternative Ansätze zuerst auf nationaler Ebene erprobt werden.

Die Verteilung von Subventionen aus den Einnahmen des Klimabeitrages war ein wichtiger Diskussionspunkt. Ein Vorschlag war hierbei die Schaffung einer wahlperioden- und krisenunabhängigen Institution zur Verteilung von Grants. Obwohl ein Klimabeitrag auf Produkte, ähnlich einer Steuer, mit dem WTO-Ordnungsrahmen kompatibel sein müsste, könnten direkte Subventionen jedoch aus handelspolitischer Sicht problematisch sein.

Wichtige Fragen kamen bezüglich der Schaffung eines fairen Wettbewerbs zwischen Grundstoffen, der genauen Vergabe von Carbon Cotracts for Difference und der Rolle zusätzlicher Margenaufschlägen auf Endprodukte auf. Außerdem müsse die Bereitstellung von Infrastruktur gewährleistet werden, wofür marktwirtschaftliche Instrumente möglicher-weise nicht ausreichten. Kritik gab es in Hinblick auf die Bezeichnung “Klimabeitrag” und die Komplexität des vorgeschlagenen Maßnahmenpakets. Diese seien vielen Bürgern nur schwer zu vermitteln und anfällig für Diskreditierung durch die politische Konkurrenz.

Insgesamt wurde das Modell des Klimabeitrags positiv aufgenommen. Es solle stärker in den Debatten auf europäischer Ebene, wo bisher BCA-Modelle dominieren, eingebracht werden. Genau wie BCAs sollte auch ein Klimabeitrag möglichst früh mit internationalen Handelspartnern abgestimmt werden, um etwa unzureichende Information über den Emissionsgehalt importierter Produkte zu vermeiden. Ein Klimabeitrag kann hierbei lediglich auf Grundlage der Grundstoffanteile, nicht aber der Produktionsweise von Importen erfasst werden (ansonsten wäre er WTO-inkompatibel).
Des Weiteren wurde auf die hohe Bedeutung einer Wiederverwendung von Rohstoffen hingewiesen. So müsse der Ordnungsrahmen für das Recycling von Grundstoffen dringend überarbeitet werden. Momentan komme es zu einer Fehl-Incentivierung, die die einmalige Herstellung recyclefähiger Primärwerkstoffe, anstelle der Wiederverwendung bestehender Materialien bestrafe. Vor allem bei der Zerlegung von Produkten in ihre Grundstoffe komme es zu Fehlklassifizierungen, da diese oft nicht als recycelt anerkannt würden. Chemisches Recycling müsse in Deutschland zudem mehr Unterstützung erhalten.

Die Wahrung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit in Europa sei durch das Ziel der Klimaneutralität und die dadurch bedingten Kosten gefährdet. Dabei spiele ein wettbewerbs-fähiger Strompreis eine wichtige Rolle, nicht nur für die bestehende Industrie, sondern auch in Hinblick auf neue Industrieansiedlungen und Investitionsentscheidungen. Vor allem in Deutschland sei der Strompreis im internationalen Vergleich nicht wettbewerbsfähig. Umstritten sind Strompreisgarantien wie Power Purchase Agreements (PPAs) für mehrere Jahre oder auf unbestimmte Zeit. Es muss jedoch darauf geachtet werden, dass staatliche Maßnahmen lediglich dem Nachteilsausgleich dienen. Hierfür ist vor allem eine genaue Beobachtung der regulatorischen Entwicklungen im Ausland notwendig. Eine Wettbewerbsbevorteilung über die Umweltpolitik müsse unbedingt vermieden werden.

Weiteres Vorgehen

Die Wichtigkeit einer breiten Allianz aus Politikern, Experten und Unternehmern verschiedener Lager wurde immer wieder betont. Ohne diese könnten alternative Modelle, wie bspw. ein Klimabeitrag, nicht erfolgreich in die öffentliche Debatte getragen werden. Maßnahmen zur Vermeidung von Carbon Leakage müssen vor allem auf drei Ebenen kommuniziert werden, innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten, auf EU-Ebene zwischen diesen, und letztendlich international mit Europas Handelspartnern.

Das Fachforum nahm sich daher vor in den nächsten Monaten einen konkreteren Maßnahmenkatalog zu erarbeiten. Dabei kommt es vor allem darauf an, die Chancen zu nutzen, die sich aus dem Neu-Start nach der Coronakrise ergeben. Voraussetzungen sind Rahmenbedingungen, die für umfassende und langfristige Maßnahmen die notwendige Investitionssicherheit schaffen. Deshalb sei es entscheidend, diese Rahmenbedingungen jetzt verbindlich festzulegen.

Falls Sie Interesse haben, diesen Themen mit uns gemeinsam nachzugehen, kontaktieren Sie uns unter info@g-wd.de.