Gastbeitrag

Dr. Jörg Zeuner, Chefvolkswirt bei Union Investment

Was ein nachhaltiges Finanzsystem nach Corona leisten muss

Die Corona-Krise hat uns fest im Griff. Wir alle passen unseren Alltag an, viele haben große Sorgen und einige müssen mit dem Verlust von Angehörigen und Freunden umgehen. Die Politik ist im Krisenmodus. Aber viele Kapitalmarktteilnehmer skizzieren schon jetzt Szenarien für die Welt der nächsten fünf Jahre, um entscheidungsfähig zu sein. Eine Frage, die sich dabei stellt: Was ist ein nachhaltiges Finanzsystem nach der Corona-Krise?

Zur Zeit wird drastisch klar, wie wichtig die Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen durch die öffentliche Hand ist, z.B. Intensivkapazitäten und medizinisches Personal für Ausnahmesituationen oder Kapazitäten zur Sicherung der Daseinsvorsorge.

Ein verträgliches Klima ist auch ein öffentliches Gut und bleibt erstrebenswert. Vielleicht führt die Corona-Krise zu mehr Bereitschaft zur Bekämpfung des Klimawandels. Das wäre ein Chance für die Politik und das Finanzsystem, denn Finanzierung würde in großem Stil benötigt.

Dr. Jörg Zeuner ist seit Juni 2019 Chefvolkswirt und leitet den Bereich Research & Investment Strategy des Portfoliomanagements von Union Investment.
Zuvor war Dr. Zeuner Chefvolkswirt der KfW Bankengruppe.

Etwas anderes steht schon fest: Geschäftsmodelle vieler Unternehmen werden überprüft und in Teilen geändert werden, weil die meisten von uns Lehren aus den Erfahrungen der Krise ziehen werden. Haushalte werden weniger reisen und anders einkaufen, Arbeitnehmer werden öfter zuhause arbeiten, und Unternehmen werden die Schwachstellen in ihrer Beschaffung und Produktion beseitigen wollen. Vieles davon kann unsere Wirtschaft nachhaltiger machen.

Allerdings werden vielen Unternehmen die finanziellen Mittel für einen nachhaltigen Umbau fehlen. Derzeit werden Schulden gemacht, um zahlungsfähig zu bleiben. Je weniger dieser Verbindlichkeiten Staaten und Staatengemeinschaften am Ende übernehmen und wachstumsverträglich abbauen können, je weniger Geld wird für neue Investitionen zur Verfügung stehen. Das wäre eine verpasste Chance.

Für die Entwicklung eines nachhaltigen Finanzsystems sind aber nicht alle Voraussetzungen schlecht. Staaten werden nach der Krise weiter in die Wirtschaft investieren. Die Sparquote der privaten Haushalte wird eher noch steigen, um Rücklagen wieder aufzufüllen. Die Kapitalmärkte und Banken werden also zur Finanzierung des wirtschaftlichen Auf- und Umbaus weiter Kapital zur Verfügung stellen können. Mit diesen Mitteln könnten in den nächsten Jahren innovative, nachhaltige Wege gegangen werden.

Wir werden auch viel in öffentliche Infrastruktur investieren müssen, z.B. in digitale Bildung und Verwaltung. Das ist durchaus mit den Zielen und Ansprüchen nachhaltigen Wirtschaftens vereinbar. Man könnte die Kapitalmärkte an diesen Investitionen beteiligen.

Schließlich werden wir auch in Innovation investieren müssen. Das wird kontroverse Frage aufwerfen, am Ende aber der Einstieg in ein zukunftsfähiges Wachstumsmodell sein. Ein zukunftsfähiges nachhaltiges Finanzsystem muss auch das leisten, um den Strukturwandel mit steigenden Einkommen zu vereinbaren.