Gastbeitrag

Dr. Anne-Monika Spallek, Sprecherin der Grünen im Kreis Coesfeld

Wir müssen jetzt die innenstadtrelevanten Betriebe retten!

Dr. Anne-Monika Spallek, Sprecherin der Grünen im Kreis Coesfeld und Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft für den ländlichen Raum der Grünen NRW sprach mit Marcus Diekmann, Coesfelder Unternehmer und Gesellschafter sowie Mitglied der Geschäftsführung bei ROSE Bikes, über das Konjunkturpaket und welche Hilfen für den stationären Einzelhandel und unsere Innenstädte notwendig wären.

Marcus Diekmann hatte in der Corona-Krise gemeinsam mit führenden mittelständischen Handelsunternehmen die Pro-Bono-Initiative „Händler helfen Händlern“ gegründet, der Initiative haben sich bereits über 2.600 Händler angeschlossen. Er zählt zu den bekanntesten Branchenexperten im digitalen Handel in Deutschland und berät Unternehmen bei der digitalen Transformation.

Beide waren sich einig: Während die Soforthilfen gut konzipiert waren, ist das Konjunkturpaket eher eine Katastrophe. Wenn nicht zeitnah nachgesteuert wird, werden wieder nur die großen Unternehmen die Gewinner sein und viele innenstadtrelevante Betriebe wie der inhabergeführte Einzelhandel, Gastronomie und Kultur nicht überleben können. Die Maßnahmen sind weder zielorientiert auf die Corona-Verlierer ausgelegt, noch unterstützen sie die notwendige ökologische und digitale Transformation ausreichend. Doch leider wird der Handel in Berlin kaum gehört. So viel über Lufthansa gesprochen wurde, so wenig leider auch über die Rettung des inhabergeführten stationären Einzelhandels.

Fakt ist, die MWST-Senkung hilft den kleineren Betrieben nicht, zumal sie ja auch an die Kunden weitergegeben werden soll. Auch ist die dafür notwendige Umstellung in den Systemen sehr aufwändig. Wirklich spürbar ist die Senkung erst bei großen Investitionen bspw. in ein Auto oder in eine Maschine. Keiner wird deswegen mehr Essen gehen oder seinen Hausrat, seine Kleidung erneuern. Sie wirkt eher wie eine versteckte Abwrackprämie, damit die Autoindustrie die Verbrenner besser verkaufen kann. Und gerade der Online-Handel und viele Baumärkte, die eh schon die Gewinner der Krise sind, profitieren ebenso davon.

Und auch die Kredithilfen kommen bei den KMUs nicht richtig an. Von den 600 Milliarden Bürgschaftszusagen von der Bundesregierung sind bisher nur 12% beantragt worden (lt. Statista vom 05.07.2020). Das zeigt eindeutig das Dilemma. Wer kann in Corona-Zeiten als kleineres Unternehmen ohne aktuellen Umsatz mal kurz einen 5-Jahres-Plan aufstellen, der sichere Gewinne ausweist. Dabei sind in der Gastronomie alleine schätzungsweise 70.000 Betriebe insolvenzgefährdet, ebenso in Branchen wie Textil, Schuhe, Elektronik-, Spielzeug- und Haushaltswarengeschäfte – alles innenstadtrelevante Geschäfte.

„Doch der lokale Handel kann es mit der richtigen Unterstützung schaffen,“ ist Marcus Diekmann überzeugt, „mit guten Ideen, digitaler Präsenz und regionaler Kundenbindung. Ziel muss sein, dass der Bürger bei seinem lokalen Händler – ähnlich wie bei den Apotheken – ein Produkt morgens digital bestellen kann und es wird dann direkt am Abend vielleicht sogar mit einem E-Lastenrad geliefert. Dann hat der lokale Handel einen echten Mehrwert im Vergleich zum Onlinehandel. Dafür brauchen die Unternehmen jetzt schnell Geld und zwar am Besten als Zuschuss oder mit 50%-iger Tilgung, denn über die zukünftigen Steuern wird der Staat wieder davon profitieren. Die Wirtschaftsförderung vor Ort muss diese Unternehmen jetzt vernetzen und unterstützen, damit jeder schnell von den guten Ideen eines anderen profitieren kann.“ 

Und es gibt noch eine Möglichkeit die Zentren gerade im ländlichen Raum und in den Pendlerkommunen zu beleben und so den lokalen Geschäften zu helfen. Und zwar über eine Wiederbelebung von bestehendem Leerstand durch kleine individuell gestaltete Coworking-Spaces. Denn viele Menschen arbeiten immer noch im Homeoffice. Dadurch wird mehr zu Hause gekocht und im Internet bestellt. Aber Homeoffice ist nicht für jeden und jeden Tag eine gute Lösung. Platz und Ausstattung ist oft nicht optimal und die Trennung von Privat und Arbeit schwierig, soziale Kontakte fehlen. Auch wegen der enormen Kosteneinsparung denken große Firmen in den Metropolen mittlerweile über das komplette Outsourcen von Büroarbeitsplätzen nach. D.h. die Transformation zur dezentralen Büroarbeit findet gerade statt – auch in der öffentlichen Verwaltung. Jetzt können wir sie noch gestalten. 

Die Kommunen könnten aktiv in ihren Zentren Leerstand mieten, darin einzeln anmietbare Arbeitsplätze einrichten und mit den großen Firmen und Behörden in den Metropolen Kontakt aufnehmen. Letztendlich profitieren alle davon. Wer im Stadtkern arbeitet, wird auch dort essen und einkaufen. Dazu wäre es gewaltiges Grünes Projekt: Großstädte und Straßen werden vom Pendlerverkehr entlastet, Klima und Umwelt geschont, der ländliche Raum aufgewertet und durch die nicht benötigten Großraumbüros ist mehr sozialer Wohnraum in den Metropolen möglich. Und auch für die Eindämmung von Corona ist eine geringere ortsübergreifende Durchmischung der Bevölkerung von Vorteil.

Doch hierfür brauchen wir jetzt Anreize und Förderprogramme, denn die Kommunen haben weder das Geld noch die personellen Ressourcen dafür. Rechnerisch könnte die eingesparte Pendlerpauschale genutzt werden. Aber auch die großen Unternehmen müssen mit ins Boot geholt werden.

Wir als Gesellschaft müssen uns die Frage stellen, wie wichtig uns lebendige Innenstädte sind und wie systemrelevant dafür gerade die individuell gestalteten kleineren Kneipen, Restaurants und inhabergeführten Geschäfte sind. Gemeinsam können wir sie retten.